Heydrich und Eichmann sitzen am Ufer des Wannsees

1942. Heydrich und Eichmann sitzen am Ufer des Wannsees. Sie tragen ihre SS–Uniformen. Sie sehen hinaus auf die Nebelschlieren über dem Wasser. Sie rauchen. Sie frieren leicht.

Heydrich: Das ist noch nicht gut so.

Eichmann: Was meinst du?

Heydrich (hält ein Blatt Papier in der Hand): Dein Entwurf für das Protokoll. (liest vor) Dem Wunsch des Reichsmarschalls, ihm einen Entwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Belange im Hinblick auf die Endlösung der europäischen Judenfrage zu übersenden, erfordert … (schaut auf) Wie das klingt!

Eichmann: Du sollst meine Worte nicht immer aus dem Kontext reißen! Der Satz geht weiter (zitiert aus dem Gedächtnis) … erfordert die vorherige gemeinsame Behandlung aller an diesen Fragen unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen in Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung.

Heydrich: Das ist zu kitschig. Was wir tun, braucht neue Sprache.

Eichmann: Immer geschieht alles bei dir nach Lust und Laune. Das macht mich betrübt.

Heydrich: Sei dualer! Sei wie Teilchen und Welle.

Eichmann: Wie genau?

Heydrich: Finde eigene Worte.

Eichmann: Ich bin ein Mann der Zahlen, nicht der Gefühle.

Heydrich: Ach Adolf, klar hast du Gefühle. Du brichst zusammen, wenn du ein Lager schon von weitem riechst. Hast eine empfindsame Seele, verleih ihr Worte!

Eichmann: Meine Worte sind immer nur Versuche.

Heydrich: Es wird! Es wird!

Eichmann: Ich muss mein Herz üben.

Heydrich (springt auf und springt umher): Ganz famos! Und weiter?

Eichmann: Alles springt … alles entspringt allem und jedem. Der Jude aber wird nicht die europäischen Völker ausrotten.

Heydrich: Lass die Juden weg. Ihre Frage ist seit heute beantwortet.

Eichmann: Du meinst …  alles entspringt allem und jedem und rottet sich zusammen?

Heydrich: Der Klang, er ist gefunden! Nun bist du bereit zu verstehen. (Zieht weiteres Blatt aus seiner Uniformjacke. Er liest vor) In Lust und Laune, Welle und Teilchen / Und ich steh in der Gegend / Plump, betrübt, hilflos, verliebt. – gezeichnet Reichsmarschall Göring.

Eichmann: Mein Gott.

Die beiden Männer schauen schweigend in den See.


Dieser Text entstand in der Lyrik-Schreibwerkstatt von Silvia Waltl. Die Aufgabe lautete, eine Paraphrase zu einem Gedicht zu schreiben. Ich wählte folgendes Gedicht von Angela Krauß:

Ich muss mein Herz üben !
Alles entspringt allem und jedem
und rottet sich zusammen
in Lust und Laune, Welle und Teilchen
und ich steh in der Gegend :
plump, betrübt, hilflos, verliebt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert