Das Geschehen wirken lassen, ohne zu werten („Show, don’t tell“)

Geschehnisse wirken, wenn der Autor Gefühle auslöst, anstatt sie bloß zu nennen. Indem der Autor die Personen dem Leser vorführt, bekommt der Leser die Chance, Gefühle dafür die Personen zu entwickeln.

Der Leser ist mündig, seine eigenen Gefühle zu entwickeln. Ein Autor, der ihm sagt, welche Gefühle die Personen haben, entmündigt und stört. Zudem ist es legitim, wenn der Leser einen anderen Eindruck bekommt als es Absicht des Autors war.

Anstatt etwa zu schreiben „Der Junge fürchtet sich, dass ihn die Mutter schlägt“ sollte man zeigen, wie sich der Junge verhält – denn dann kann sich der Leser in die Furcht hineinfühlen. Dostojewskij in Schuld und Sühne macht es folgendermaßen:

Das kleinste, etwa sechsjährige Mädchen schlief auf dem Fußboden, in halb sitzender Stellung, zusammengekauert und den Kopf an das Sofa gelehnt. Der um ein Jahr ältere Knabe stand, am ganzen Leibe zitternd, in einer Ecke und weinte. Er hatte wahrscheinlich eben erst Schläge bekommen. Das älteste Mädchen, das etwa neun Jahre alt sein mochte, hoch aufgeschossen und dünn wie ein Streichholz, hatte als Kleidung nur ein schlechtes, überall zerrissenes Hemdchen und um die nackten Schultern eine alte Pelerine von drap de dame, die wahrscheinlich vor zwei Jahren für sie gemacht war, da sie jetzt nicht einmal bis an die Knie reichte. Sie stand in der Ecke neben dem kleinen Bruder und hielt seinen Hals mit ihrem langen, mageren Arme umschlungen. Sie schien ihn zu trösten, flüsterte ihm etwas zu und suchte ihn auf jede Weise von erneutem Losschluchzen abzuhalten; dabei verfolgte sie ängstlich die unruhige Wanderung ihrer Mutter mit ihren großen, dunklen Augen, die in ihrem abgemagerten, furchtsamen Gesichtchen noch größer erschienen.

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