Keine Scham. Das Arbeiten mit dem Stellvertreter. Philip Roth.

Ich war sehr neugierig, wie weit ich als Schriftsteller gehen konnte. Was passiert, wenn man noch weiter geht? Wenn man mit einem neuen Buch anfängt, ist es sicher am Besten, jeden Versuch der Selbstzensur aufzugeben. Tu, was immer du tun willst. Lass es einfach zu. Scham ist nichts für Schriftsteller. Man muss schamlos sein. Man darf sich nicht den Kopf über Anstand zerbrechen. Das heißt nicht, dass man obszön und verrückt sein und die Seiten mit Fäkalien beschmieren muss. Darum geht es nicht. Aber Scham darf keine Rolle spielen. In meinem übrigen Leben empfinde ich jede Menge Scham, nicht weniger als jeder andere. Aber wenn ich schreibe, bin ich frei davon.

Philip Roth

Viele Schriftsteller, die ich kenne, haben einen Stellvertreter. Der Stellvertreter ermöglichte einem aus der eigenen Erfahrung zu schöpfen und auf Grundlage der eigenen Erfahrung zu erfinden. Er ist eine Maske. Und eine Maske bedeutet Freiheit. Wenn Portnoy wütend oder lüstern ist, dann bin ich glücklich. Ebenso wenn Mickey Sabbath voller Lüsternheit ist. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und erfinde Mickey Sabbath in einem Zustand der Geilheit, aber ich selbst bin dabei nicht geil. Es ist eine entscheidender Unterschied, den man machen muss.

Philip Roth

Die Fernsehdokumentation noch ein paar Tage online auf arte.tv.


http://videos.arte.tv/de/videos/philip_roth_ohne_beschwerden-4112130.html

Anscheinend machen amerikanische Schriftsteller so: Sie verlassen den Ort aus dem sie stammen und schreiben den Rest ihres Lebens darüber.

Philip Roth

2 Gedanken zu „Keine Scham. Das Arbeiten mit dem Stellvertreter. Philip Roth.“

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag! Ich hab viel mitgenommen von dieser Doku- da ist eigentlich fast alles drin.Z.B. die Regelmäßigkeit beim Schreiben, und auch das sich verloren fühlen bei jedem Anfang.
    Das mit der Scham und dem Stellvertreter ist so befreiend fürs eigene Schreiben. Sehr spannend finde ich auch, dass der erste große Erfolg mit dem Buch kam, in dem er persönliche Erfahrungen verarbeitet hat. Und das auch ganz bewußt versucht hat. Und: was passiert wenn man immer weiter geht! Es gibt noch so viel. Die Neugier mit den Grenzen zu spielen.
    Für mich sehr wichtig ist der Satz: „Ich musste mir die Freiheit erkämpfen aus dem zu schöpfen, was ich kannte“

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