Ich betrete den Hof mit der Frühlingsschmetterlingswiese – ich meine jenen Hof, der ganz im Stadtzentrum von Oed liegt, links vom Kriegerdenkmal.
Henry Miller liegt auf einer weißen Plastikklappliege. Mit der rechten Hand winkt er mir zu. Er trägt einen weißen Frotteebademorgenmantel, der auf seinem Bauch mit einem weißen Frotteemantelgürtel verknotet ist. Sein linker Ellbogen ruht auf der Lehne der Plastikklappliege, den Unterarm senkrecht nach oben, die Hand steckt in einer Möse. Ich grüße ihn und überlege, ob ich sie kenne – „Im Wendekreis des Steinbock“ gibt es diese Szene im Dunkeln, die ich sogar abgetippt und auf meinen Blog gestellt habe.
Miller steht auf, im Hergehen steckt er seine Möse in die Manteltasche, knotet sich den Bademantel fester, bloßfüßig sind seine Schritte auf dem Gras. Wir sprechen Oberflächliches, unter anderem über Personalführung in Telekommunikationskonzernen in den Dreißigerjahren.
Ich setze mich an einen Gartentisch, muss ja etwas schreiben. Ich klappe meinen Laptop auf, und zu mir kommt eine Katze. Weißgoldendes Fell, sie schnurrt und quetscht beim Einatmen und sie gurgelt beim Ausatmen, sie reibt ihre Ohren an meine Laptopbildschirmkante. Ich streichle über ihr Fell.
Henry Miller fragt mich, was ich hier tue. Ich sage, das hier sei meine morgendliche Schreibübung. Die Schreibwerkstättenleiterin habe mich geschickt.
»Was? Hierher, ins Fickparadies? Wer macht denn sowas?«
Ich frage Miller, ob das hier ohnehin kein Traum sei. Denn über einen Traum dürfe ich jetzt nicht schreiben, wegen der Beliebigkeit. Es müsse etwas Realistisches sein. Er legt seine Möse auf den Tisch. Ich möge sie ruhig anfassen, sie sei total realistisch. Man müsse sie über Nacht einlegen, dann bliebe sie jahrelang saftig. Ich sage ihm, dass ich dazu nichts sagen könne, weil mir der Vergleich fehle, weil seine Möse behaart sei und sich meine Freundinnen stets rasieren. Miller deutet auf einen uralten Mann mit der dickglasigen Brille und der adjektivlosen Pfeife. »Geh zu ihm. Der kann dir sagen, ob das hier existiert.«
Ich gehe zu diesem Mann. Ich schaue ihn an. Er schaut mich an, mit seinem rechten Auge, denn sein linkes ist weit nach links abgedriftet. Ich glaube mein Spiegelbild in seinem Auge zu erkennen, aber dann irre ich mich ja doch nur.
»Willkommen«, sagte er. Er kaut eine Weile an seinem Pfeifenmundstück.
»Wir werden noch viel Zeit hier miteinander verbringen«, sagt er.
Entstanden im Rahmen der Langschlager Lyrik-Schreibwerkstatt mit Evelyn Schlag. 29.8.2011. Die Aufgabe lautete: Einen Tagesanbruch ausdenken für einen Ort, der einem nicht vertraut ist, etwa einen, den man in Google Maps gefunden hat. Und/oder eine Person erfinden, die in einem (dem Autor unbekannten) Nachbarort lebt. Man kann Ortsnamen ruhig assoziativ verwenden – der Ortsname löst etwas aus, oder die Stadt löst etwas aus.