Meine Freunde, Bauern und Konsumenten!
Ich frage euch heute nicht einfach nach Dankbarkeit. Nein!
Ich frage euch: Wollt ihr den absoluten, radikalsten Erntedank,
einen Erntedank, so gnadenlos, dass kein Brot ungeschnitten,
keine Kartoffel ungeschält und keine Rübe ungezogen bleibt?
Wollt ihr ihn?
Wollt ihr, dass wir das Letzte aus den Böden pressen,
dass jeder Tropfen Wasser, jedes Samenkorn genutzt wird,
dass wir dem drohenden Hunger trotzen,
genau wie wir der Wasserkrise trotzen,
und die Ernte in jeder Ecke dieser Welt sichern?
Und wenn die amerikanische Lügenpresse heute behauptet,
die Menschheit habe zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte
den globalen Wasserkreislauf aus dem Gleichgewicht gebracht –
Nein, wir werden nicht weichen! Nein, wir werden wachsen!
Unsere Felder werden größer, grüner und fruchtbarer als je zuvor!
Wollt ihr das? Seid ihr bereit, die ultimative Ernte einzufahren?
Also frage ich euch zum letzten Mal:
Wollt ihr den absoluten Erntedank?
Wollt ihr kämpfen für jeden letzten Bissen, für jedes letzte Korn?
Dann erhebt eure Gabeln und Messer,
Möge der Magen niemals leer sein und der Teller stets voll!
Die Krimiserie ist ein leuchtendes Bollwerk der Gerechtigkeit und eine unermüdliche Hymne an die Ordnung und Sicherheit unseres Vaterlandes. In der Gestalt des unerschütterlichen Kommissars, der mit scharfem Verstand und eiserner Entschlossenheit das Böse bekämpft, sehen wir den heroischen Einsatz für das Wohl unserer Gesellschaft.
Schon die erste Episode ist ein Triumph des Rechts über die dunklen Mächte der Anarchie und ein Beweis dafür, dass die unbestechliche Kraft des Guten letztlich immer siegen wird.
Eine unschuldige Internatsschülerin wird auf ihrem Heimweg durch den dunklen Wald hinterlistig überfallen und erwürgt. Dies ist bereits das zweite Verbrechen dieser Art, das unsere Gemeinschaft erschüttert. Doch der ruchlose Täter hat die Stärke und Wachsamkeit unseres heldenhafen Kommissars unterschätzt, der schon als Grenadier der 14. Kompanie, SS-Panzergrenadier Regiment 1 „Totenkopf“, sein Vaterland bis nach Kharkiv zu verteidigen wusste.
„Derrick“ ist mehr als eine Serie; „Derrick“ ist ein Mahnmal der Tugend und eine Quelle der Inspiration für jeden rechtschaffenen Bürger.
Ich befehle hiermit die Produktion von 281 Folgen.
Bei uns erleben Sie Momente der Weltgeschichte, dargestellt mit einer Präzision, dass Sie meinen, Sie seien wirklich dort gewesen. Wir hatten große Erfolge, ich erinnere nur an unserem Titanic Themenpark. So ein Freizeitpark braucht etliche Genehmigungen für die Inbetriebnahme, deshalb sind Sie heute da, meine Herren – ihr Schwerpunkt ist Brandschutz und – wenn ich recht verstanden habe – Jugendschutz, nicht wahr?
Gut. Ich werde Sie nun durch unsere Attraktionen führen.
Hier der Nachbau eines Einfamilienhauses. Lassen Sie sich von den Brandspuren nicht irritieren, die sind natürlich nicht echt. Hier herein, bitte. Der Save-Room. Der Mann und die blonde Frau hier wurden erschossen. Die Axt ist natürlich nicht scharf, damit sich keiner verletzt – aber die muss hier liegen, da muss man drübersteigen, wir wollen ja authentisch sein, mit der Axt hat der Mann versucht, seine Kinder zu verteidigen.
Sie fragen sich: wo sind die Kinder?
So, jetzt müssen Sie sich bücken. Noch tiefer. Ja, unter dem Bett. Da, sehen Sie? Das Mädchen. Ja, hier muss man sich den Zugang zum Mädchen echt erarbeiten, durch eine körperliche Bewegung. Übrigens: Alles Bettzeug ist natürlich imprägniert, hier brennt nichts. Was da hinten glost, das ist das Handy-Display. Das Mädchen telefoniert nämlich. Vier Stunden lang. Mit seiner Mutter. Die tote Frau ist nur die Freundin des Vaters.
Das Handy stammt vom toten Vater. Beim Handy haben wir den Akku entfernt, damit es nicht zu einer Selbstentzündung kommt. Das Raumklima hier ist unangenehm stickig, spüren Sie das? Mit Absicht haben wir hier keine Lüftung eingebaut, denn das Kind versteckt sich unter dem Bett, das soll man fühlen, und da, ihr achtjähriger Bruder, der ist nicht tot, er ist nur still, weil seine Schwester gesagt hat, er soll still sein. Wenn Sie ganz leise sind, hören sie Ihn atmen, schauen Sie, wie er schwitzt. Hören Sie, was das Mädchen zu seiner Mutter flüstert? Wir haben das übersetzt, vier Sprachen. Das gekürzte Transkript des Gesprächs können Sie auf der Objektbeschriftung nachlesen.
Wir wissen, dass die Fluchtwege hier ein Problem sind. Um im Brandfall alle evakuieren zu können, werden hier nur für vier Besucher gleichzeitig eingelassen. Hier im Nebenraum ist das Wichszimmer, da können sich männliche Besucher kurz zurückziehen, wenn sie masturbieren wollen. So etwas hat es im originalen Haus natürlich nicht gegeben – wissen Sie, wir bewegen wir uns immer auf einem Grat zwischen Authentizität und Kundenbedürfnis. Schauen Sie hinauf, an der Decke: Rauchmelder. Damit keiner anfängt, sich hier eine Zigarette anzuzünden, Sie verstehen! Der Jugendschutz ist jedenfalls gewährleistet, weil unsere Wichszimmer erst ab 18 betreten werden dürfen, und nur mit Zutrittskarte, die man an der Kassa gegen Aufpreis erhält.
Folgen Sie mir bitte nach draußen. Kommen Sie weiter.
So.
Hier draußen also, das Festivalgelände. Natürlich nicht so weitläufig wie auf dem Originalschauplatz. Was hier herumliegt, zwischen den Zelten, ist eingescannt und mit 3D-Druckern reproduziert worden, bis auf Mineralwasserflaschen und Mehrweg-Plastikgabeln. Wir haben übrigens nur brandhemmende Filamente verwendet.
Ja, ich weiß, was Sie denken. Anfänglich dachten wir auch, wir hätten ein Problem mit der Nacktheit, weil wir ja die Zulassung nach PEGI 12 beantragen und weil etliche Frauen nackt aufgefunden wurden. Aber wir zeigen nur jene Opfer nackt, denen in die Geschlechtsteile geschossen wurde, und eine blutverschmierter Vulva fällt nicht in den Themenbereich Sexualität, sondern in den Themenbereich Gewalt, und angedeutete Gewalt gegen menschlich aussehende Wesen ist bei PEGI 12 zugelassen.
Für unsere jüngsten Besucher bieten wir ein Abenteuer-Fangen-Spielen an, wo die Kinder davonlaufen müssen, und wer nicht schnell genug ist, wird eingefangen, auf Motorräder gepackt und dann fortgebracht, zum Sammelplatz im Keller vom Restaurant.
Ja, was haben Sie denn da gefunden? Heben Sie es ruhig auf. Fühlt sich weich an, nicht wahr? Schaut aus wie eine ausgefranste Mütze mit einem Knubbel obendrauf. Ist aber aus Kunststoff. Hautfreundlich und abwaschbar. Das ist eine abgeschnittene, weibliche Brust. Auf der Rückseite sehen Sie Fettgewebe und Brustdrüse, ja, wir achten auf Details. In unserem Andenken-Shop sind solche Brüste käuflich zu erwerben.
Hänsel sitzt in einem schmucklosen Büro. Gegenüber, hinter dem Schreibtisch, sitzt Frau Bezirksinspektor Wolf. Sie sagt: „Sie haben viel durchgemacht, nicht wahr?“
Hänsel nickt. Tränen kleben an seiner verdreckten Wangenhaut.
„Rauchen Sie?“, fragt sie.
Wolf hält Hänsel eine Packung Marlboro hin. Hänsel nimmt eine Zigarette heraus, Wolf gibt ihm Feuer. Hänsel macht einen tiefen Zug.
„Gehts schon besser?“, fragt sie.
Hänsel nickt.
„Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. Wir wollen die Verbrechen der Hexe aufklären. Und brauchen da noch Ihre Hilfe.“
„Gerne“, sagt Hänsel.
„Sie leben in großer Not, stimmt das?“
Er nickt. Er macht einen festen Zug aus der Zigarette.
Frau Bezirksinspektor Wolf sagt: „Und Ihre Mutter hat Ihren Vater überredet, Sie und Ihre Schwester Gretel im Wald auszusetzen.“
„Nein, die ist nicht meine Mutter! Die ist meine Stiefmutter!“
„Also, ich habe hier die Dokumente aus dem Jahre 1812, danach es ihre leibliche Mutter …“
Er kreischt. „Nein! Die freckige Hotze ist nicht eine Mutter! Meine Mutter ist eine Heilige, die würde uns das nie antun!“.
Hänsel dämpft energisch die Zigarette in einem Aschenbecher aus.
„Ist ja schon gut, habe verstanden“, sagt Wolf. Sie macht Notizen auf einem Papierbogen und streicht dann das Wort „Mutter“ durch.
Sie sagt: „Sie haben folgendes zu Protokoll gegeben: Ihr Vater habe Sie und Ihre Schwester in den Wald geführt und sie beide alleine zurück gelassen.“
„Ja!“, ruft Hänsel. „Aber ich hab Steine dabei gehabt, ich hab eine Spur gelegt, so hab ich nach Hause gefunden.“
Er grinst.
Sie sagt: „Unsere Spurensicherer haben den Wald durchkämmt, keine Spur von weißen Steinen!“
„Die hatten wir wieder aufgesammelt auf unseren Weg heim.“
Frau Bezirksinspektor Wolf sagt: „Sie haben weiters ausgesagt, dass Ihr Vater Sie nochmals ausgesetzt habe, aber diesmal haben Sie eine Scheibe Brot dabei gehabt, die haben Sie zerbröckelt, um eine Spur zu legen. Die wurde jedoch von Vögeln aufgepickt. Dadurch fanden Sie nicht mehr nach Hause.“
Hänsel seufzt. Und nickt.
Frau Bezirksinspektor Wolf fragt: „Sie leben in einer hungergeplagten Not. Da ist Brot etwas sehr wertvolles, nicht wahr?“
Hänsel nickt.
„Wie kommen Sie dann dazu, ein Brot zu zerbröseln und wegzuwerfen?“
„Wir haben keine Steine gehabt!“
Sie sagt: „Aber Sie haben die Steine doch eingesammelt!“
„Wir haben die Steine weggeworfen.“
Sie kritzelt das Wort „Weggeworfen“ auf einen Bogen Papier.
Sie sagt: „Und die Vögel fressen Ihre die Brotkrümel – und das Hexenhaus aus Zucker fressen sie auch?“
Hänsel sagt: „Wie meinen Sie das?“
„Wir haben nämlich kein Hexenhaus gefunden. Wie lange waren Sie beide im Wald?“
„Einen Sommer lang.“
Sie fragt: „Sie hatten es nicht so eilig, aus dem Wald rauszukommen, oder?“
„Ich verstehe nicht“, sagt er.
„Schauen Sie, Herr Hänsel. Wir haben eine Feuerstelle gefunden, und eine einfache Hütte. Und ein Seil. Das hing zwischen zwei Bäumen. Und auf dem Seil hingen Unterkiefer, aufgereiht wie Perlen.“
Frau Bezirksinspektor Wolf hebt die Hände und berührt mit ihren Zeigefingerspitzen seitlich ihr Kinn. „In jedem Unterkiefer gibt es zwei Kinnlöcher. Jemand hat mit einem spitzen Gegenstand die Löcher aufgebrochen, damit das Seil durchpasst.“
„Es war die Hexe, die alte Menschenfresserin! Ich sagt die Wahrheit! Fragen Sie Gretel!“, ruft Hänsel.
„Ja, zu Gretel habe ich auch eine Frage. Wie ist Ihre Beziehung zu Gretel?“
„Sie ist meine Schwester, das wissen Sie doch! Sie ist der einzige Mensch, der es gut mit mir meint.“
Frau Bezirksinspektor Wolf verschränkt die Arme und sagt: „Und darum haben Sie Gretel geschwängert, im Wald?“
Tage vorher bin ich sehr nett zu dir, bis zu dem Moment, wo du dich am sichersten fühlst, wo alles passt.
Dann werde ich kommen, aber ich komme nicht alleine.
Wir werden dich aus deinem Haus zerren – und du, mit verrenktem Kopf, versuchst noch beruhigende Blicke deinen Kindern zuzuwerfen, aber sie stehen da mit geweiteten Augen, das jüngste pinkelt sich gerade an, während du in den frühen Morgen hinaus gedängt wirst, links und rechts kein Entkommen, und immer diese Schläge! – Dabei fügst du dich ja ohnehin, dein Leben lang hast du dich gefügt.
Warum dann dieses Ende?
Warum dann diese Enge, dass du dich nicht rühren kannst und du wartest und du im Blut watest und der Geruch dich schon ganz kirre macht, dass du einfach nur zusammenbrechen willst, weil du deine Freundin wiedererkennst, die wir vor dir aufgehängt haben, kopfüber, das Gesicht und die Haare dunkelrot getränkt, vom Blut, das auf den Boden klatscht, und immer noch zittert deine Freundin, und fieberhaft seicht sind ihre Atemzüge.
Mein Name ist Stephan Derrick, und ich bin Oberinspektor bei der Münchner Polizei.
Jeden Tag werde ich an den Stadtrand gerufen, zu den Villen der Reichen, zu den toten Mädchen und den erstarrten Müttern und den alten Männern. Ich frage: „Wo waren Sie gestern?“ und werde angeschaut, weil ich nicht dorthin gehöre. Ich weiß ja, wer diese Leute sind, die mit dem Geld! Und immer ist die Gier der Grund, warum sie sich töten. Am liebsten würde ich gar nichts tun, sollen sie sich abschlachten.
Mein 200. Fall zum Beispiel. Ein belangloser, alter Mann stirbt. Seine Tochter, eine super attraktive Brünette, recherchiert. Sie kommt drauf, dass ihr toter Vater bezahlt worden war, einen Villenbesitzer zu ermorden. Natürlich hat der Villenbesitzer den alten Mann zuerst abschlachten lassen. Die attraktive Brünette also kommt zum Villenbesitzer, will ihn alle möglichen Vorwürfe machen – er aber ist im Rollstuhl. Was ist passiert? Sie verliebt sich in diesen Schlaffschwanz. Und ich? Bleibe auf einem ungelösten Fall sitzen wegen dieses schlaffschwänzigen Rollstuhlkrüppels.
Ja, schlaffschwänziger Krüppel! Das wird man doch noch denken dürfen! Der Schimanski, der sagt doch dauernd solche Sachen! Der Schimanski, der ist ein dreckiger Opportunist, wie sein Vater, dieser Nazibonze, der hat 1943 im Warmen einen Kriminalfilm abgedreht, während wir an der Ostfront dem Russen Kharkiv entrissen haben!
Der Schimanski, der kann einfach neben einer Frau im Auto sitzen und dann sagen: „Ach nee, lass uns doch noch ein bisschen durch die Nacht fahren, du!“
Und ich? Ich sage Dinge wie „Guten Tag“ und „Die Ermittlungen laufen.“
Oh, wie ich ihn beneide! Er kann sich mit seinem Thanner nach jedem Fall unter die Dusche stellen, gemeinsam im Nassen, Stirn an Stirn können sie das Geschehene abfeiern und sich Schampoo über Haare gießen. Aber ich! Ich brauche nur nach meinem grünen Bademantel zu greifen, meinen Arm in einer unglücklichen Bewegung zu sehr zu heben, dann ein Blick von Harry, der sich gerade einseift, und er sieht, dass da, unter meiner Achsel, dort ist ein A eintätowiert, und der Harry, der ist zwar Kind, aber blöd ist er nicht, und in irgendeinem Archiv wird sicher nachzulesen sein, dass ich bei der SS-Division Totenkopf war.
Darum begann ich, Schnaps zu trinken. Ich dachte, dass es mir helfen würde, meinen Neid zu überwinden. Und es funktionierte. Ich bin zufriedener mit meinem Leben, und wenn diese reiche Clique in einer ihrer Villen wieder einmal ein totes Mädchen gebiert – klar frage ich dann den nervösen Onkel und die anteillose Mutter: „Wo waren sie gestern?“
Aber diesmal, in einem unbeobachteten Moment, mache ich einen Schluck vom Flachmann, betaste die Vulva der Toten, schließe meine Augen und denke mir Harry ganz nah, so nah, dass ich ihm den Kopf shampoonieren könnte.
Die Tür musste schon alt gewesen sein, als sie in das Haus gekommen war. Niemand im Dorf erinnerte sich, woher sie stammte oder wer sie eingebaut hatte. Sie war beschlagen mit einem Metall, das kein übliches Eisen war. Und die Tür trug eine Inschrift, in einer Sprache, die niemand im Dorf verstand, und jeder, der in dem Dorf lebte, wusste, dass man die Tür nicht öffnen durfte, denn es kursieren Geschichten von Menschen, die es versucht hatten, und die nicht mehr zurückgekommen waren.
Eines Tages sah ein Mädchen die Tür – es war die Tochter des Händler, der zufällig hier im Dorf übernachtete. Das Mädchen war weit gereist und wusste daher sofort, was die Inschrift bedeutete. Es drückte die Türschnalle hinunter, und die Tür öffnete sich träge. Das Mädchen ging hinein.
Nach ein paar Stunden begann der Händler, seine Tochter zu suchen. Er wurde verzweifelter und verzweifelter, und in der Nacht weckte er die Dorfbewohner. Sie alle zogen zu der Tür, rüttelten daran und drückten und zogen, aber sie blieb fest verschlossen. Sie nahmen einen Baumstamm als Rammbock und warfen ihn gegen die Tür. Die Tür gab ein wenig nach. Die Menschen gaben nicht auf. Sie rissen die Tür aus den Angeln und warfen sie auf den Boden. Dann traten sie ein in den Raum, der hinter der Tür lag.
Der Raum hatte kein Fenster und keine andere Tür. In der Mitte des Raums stand ein Stuhl. Darauf lag ein Zettel. Auf dem Zettel stand: „Bitte geht wieder nach draußen und schließt die Tür.“
Als der König starb, war seine Frau, die Königin, so traurig, dass sie sich in ihr Zimmer einschloss und nichts mehr aß. Ihre Diener brachten ihr Essen, aber sie weigerte sich, etwas zu nehmen. Sie wollte nur noch sterben.
Eines Tages hörte sie ein leises Hämmern an ihrer Tür. Sie ging hin und öffnete sie. Da stand ein kleiner Hase. Er sah sie an und sagte: „Ich habe gehört, dass du traurig bist. Kann ich dir helfen?“
Die Königin lächelte traurig und schüttelte den Kopf. „Niemand kann mir helfen“, sagte sie. „Ich bin zu traurig.“
Der Hase sah sie an und sagte: „Ich werde bei dir bleiben, bis du wieder lächeln kannst.“
So blieb der Hase bei der Königin und hielt sie in seinen Armen, bis sie eingeschlafen war. Und als sie aufwachte, lächelte sie.
“Komm, wir gehen in den Wald!”, sagte der Hase.
“Ich kann nicht fort, ich habe kein schwarzes Kleid”, sagte die Königin. Denn Schwarz musste alles sein, das sie trug, denn ein Jahr Trauer zu tragen, das besagte die Tradition.
“Dann lass dir ein Kleid schneidern”, schlug der Hase vor.
Die Königin rief nach den Schneiderinnen und ließ Maß nehmen. Als die Königin am Ende des Tages ihr neues Kleid sah, da war sie enttäuscht.
„Es ist nicht fertig“, sagte sie zu den Schneiderinnen. „Es fehlt ein Knopf“.
Die Schneiderinnen entschuldigten sich und sagten, sie würden sofort einen neuen Knopf annähen. Aber als sie den Knopf angenäht hatten, sah das Kleid immer noch nicht fertig aus. „Es fehlt ein Saum“, sagte die Königin.
Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden sofort einen neuen Saum nähen. Aber als der Saum angenäht war, sah das Kleid immer noch nicht fertig aus.
„Es ist zu kurz“, sagte die Königin.
Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden den Saum schmäler machen. Aber danach sah das Kleid immer noch nicht fertig aus.
„Es ist zu eng“, sagte die Königin.
Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder und sagten, sie würden es sofort weiter machen. Aber danach sah das Kleid immer noch nicht fertig aus.
„Es fehlt ein Ärmel“, sagte die Königin.
Die Schneiderinnen entschuldigten sich wieder. Die Königin war so enttäuscht, dass sie weinte. Sie weinte so sehr, dass sie sich nicht mehr beruhigen konnte. Sie weinte die ganze Nacht und am nächsten Morgen war sie immer noch traurig. Im Morgengrauen dann ging die Königin in den Wald, sie trug ihr unfertiges Kleid. Sie setzte sich auf einen Baumstamm und weinte. Plötzlich sah sie ein Tier, das auf sie zukam. Es war ihr Freund, der Hase.
„Warum weinst du, Königin?“, fragte der Hase.
„Ich bin so traurig“, sagte die Königin. „Ich habe ein Trauerkleid, aber es ist nicht fertig. Erst fehlt ein Knopf, dann der Saum, dann ist es zu kurz und zu eng, und schau: es fehlt ein Ärmel!”
„Ach ja, der Ärmel! Ich kann dir helfen“, sagte der Hase.
“Was du alles kannst, sogar nähen”, sagte die Königin. Sie lächelte.
Da nahm der Hase ein Beil und hieb auf den Oberarm der Königin ein. Die Königin schrie auf und rannte weg. Der Hase hoppelte hinterher, packte die Hand der Königin und riss dermaßen an, dass die Sehnen schnalzten und der Hase nun ihren Arm gänzlich in Händen hielt.
Die Königin brach zusammen.
Der Hase knabberte mit rotnassem Maul am Fleisch ihres Unterarms, der ja sehr dünn war, weil die Königin wegen ihrer Trauer so abgemagert war. Er schaute auf die Königin hinab, die im schwarzen Kleid auf dem Waldboden lag. Er sagte: “Jetzt passt die Ärmellänge.”
Er schmiegte sich an die Füße der Königin, streichelte ihre Fußgelenke und sagte: “Und zu kurz ist das Kleid auch?”
“Nein, das Kleid ist fertig”, stöhnte die Königin, damit sie nicht auch ihre Füße verlor.
In Folge 176 bewegt sich der alte Derrick eine Treppe herab, vorbei an einem Festnetztelefon. Derrick hält in seinen Händen eine Mappe mit papierenen Akten. Er geht in ein Zimmer, auf dem Tisch gibt es einen Aktenkoffer und eine Kaffeetasse.
Man muss folgendes dazu sagen, zu dieser Situation. Die Möbel sind dunkelbraun wie die Haselnuss. Derrick steht in dem Zimmer, das vielleicht als Wohnzimmer gemeint ist – aber es könnte auch das Wartezimmer eines Landarztes sein – ich meine keinen Allgemeinmediziner, sondern einen Psychiater – klar müssen Stühle und Tische massiv sein, damit kein Schaden eintritt. Über dem Tisch hängt ein Luster aus hin- und herverbogenem, weißem Metall, hängt so tief, dass er Derricks Brustwarzen berühren würde, wenn er den Tisch zur Seite schob, was er aber nicht tut, weil der Tisch massiv und Derrick alt ist. Das Fenster, an dem Derrick steht, ist eng und von einem Fensterkreuz gevierteilt. Seitlich hängt grauer Vorhangstoff, ich meine dieses Grau der Spitzendecken, die man immer als erstes wegwirft, wenn man die Wohnung der verstorbenen Eltern nach Verwertbarem durchsucht.
Derrick legt die Aktenmappe in den Aktenkoffer. Er greift zu der weißen Kaffeetasse, stellt sich an das Fenster und schaut hinaus. Währenddessen wird in weißer Schrift das Wort “Rachefeldzug” eingeblendet.
Dann schrillt das Telefon wie eine Türglocke. Derrick stellt seine Tasse ab, geht zum Festnetztelefon, aber der Fußboden unter ihm ist gekachelt. Kackgelbe, quadratische Kacheln, nicht einmal diagonal verlegt. Derrick geht vorbei an einem Schrank, hinter dessen Glastüren neun Teller hängen, angeordnet drei mal drei, dann hebt er den Telefonhörer ab, wendet sich zur Kamera und sagt ein scharfes: “Ja!”
Später kommt eine Frau herein, und Derrick sagt folgenden Satz zu ihr: “Viel Vergnügen hier beim Saubermachen. Auf Wiedersehen.”
Was in dem Haus sauberzumachen ist, erschließt sich nicht, weil die Zimmer so geleert aussehen. Wobei: die Kaffeetasse samt Untersetzer gilt es natürlich in die Küche zu tragen, zu säubern, zu trocknen und in einem Schrank abzustellen.
Vor dem Haus wird auf Derrick geschossen, daraufhin schleudert er den Aktenkoffer weit fort, und als das abgeschlossen ist, tritt er zur Seite, während die Putzfrau im Hausinneren nichts bemerkt, weil sie mit dem Saubermachen von Derricks Dreck bis über beide Ohren beschäftigt ist.
Harry kommt und sagt zu Derrick: “Etwas ist merkwürdig.”
Worauf Derrick wiederholt: “Ja, etwas ist merkwürdig.”
Weil Derrick nicht weiß, was merkwürdig ist, wartet er auf das, was Harry als nächstes sagt.
Harry sagt: “Dass man dich nicht getroffen hat.”
Daraufhin sagt Derrick sofort: “Das finde ich auch.”
Der Gedanke ist unzulässig, dass der Attentäter folglich nur eine Frau sein kann, weil Frauen ja ein nicht so zielstrebiges Naturell wie Männer haben, und es ihnen mehr um Aufmerksamkeit denn um das Töten geht, es also mit hoher Wahrscheinlichkeit die Putzfrau sein kann, weil sie es satt hat, dieses Kotzeschrubben und Eiterkrusten aus Kaffeetassen kratzen und die versifften Inkontinenzlaken zu bügeln – dieser Gedanke ist hier unzulässig, weil ein anderer alter Mann der Täter ist. Dies entpuppt sich aber erst, nachdem Derrick eine Wohnung besucht, in der junge Leute mit Dauerwellenfrisur und überbreiten Schulterpölstern umherstehen, und jemand zu Derrick sagt: “Sie sind nicht gut für die Stimmung.”
Worauf Derrick sagt: “Ja, ist ja gut, na was ist denn das? Ne Party oder sind die alle nur zufällig hier?”
Heute war ein perfekter Tag für das kleine Kind. Es hatte die Sonne vom Himmel gelacht, die Vögel zwitscherten und es war warm. Das Kind hatte sich auf sein Fahrrad gesetzt und war losgefahren. Es hatte so viel Spaß gehabt, dass es gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Plötzlich hatte es aber Hunger bekommen und war nach Hause gefahren, um etwas zu essen.
Nach dem Essen hatte es sich auf sein Bett gesetzt und gelesen. Es hatte so viel Spaß gehabt, dass es gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Plötzlich hatte es aber Schmerzen in seinen Beinen bekommen und war eingeschlafen.
Als es am nächsten Morgen aufwachte, war es kalt und dunkel. Das Kind war allein in seinem Bett und es war totenstill im Haus. Es hatte keine Ahnung, was passiert war. Es hatte nur noch diesen perfekten Tag im Kopf, an dem alles so gut gelaufen war.
Dieser Text wurde nicht von mir geschrieben, wurde von keinem Menschen geschrieben. Dieser Text wurde maschinell erzeugt. Auf openAI.com hatte ich die Anweisung gegeben: “Verfasse eine sehr traurige Geschichte über einen perfekten Tag eines Kindes”. Später probierte ich es wieder, mit derselben Anweisung.
Eines Tages, als das Kind gerade ein Jahr alt war, hatte es einen perfekten Moment. Es saß auf seinem Spielzeugpferd und ritt durch die Wohnung, während seine Mutter ihm zusah. Sein Gesicht war voller Freude und Glück. Doch dieser Moment währte nur kurz. Das Kind war kaum zwei Jahre alt, als es bei einem Autounfall ums Leben kam.
Nun gab ich folgende Anweisung: Verfasse eine Kurzgeschichte zum Thema “Der perfekte Moment“
Der perfekte Moment ist eine seltene Erscheinung. Manchmal ist er so kurz, dass man ihn kaum bemerkt. Aber wenn er da ist, dann weiß man es. Man spürt die Leichtigkeit des Moments, die Freude, die in der Luft liegt. Alles scheint möglich zu sein.
Für Mia war dieser Moment am Strand. Sie lag in der Sonne, die Wellen rauschten leise im Hintergrund und sie fühlte sich so leicht, so glücklich. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie fliegen.
In diesem Moment wusste sie, dass alles möglich war. Sie konnte sich ein neues Leben ausmalen, mit einem neuen Job, einem neuen Partner. Sie war bereit für einen Neuanfang.
Aber der Moment verging und Mia musste wieder in die Realität zurückkehren. Die Leichtigkeit und die Freude blieben zurück, aber nun wusste Mia, dass sie diesen Moment festhalten musste. Denn er kam nicht immer wieder.
Blau ist meine Lieblingsfarbe von dem Himmel, der sich in der Nacht über die Stadt legt und so ein blau hat, das dünner und dünkler wird weil seine Farbe am Abend ausrinnt an den Silhouetten von Hochhäusern und Bahnhofstoiletten und hinein sickert in die Gullys und gluckert mit dem Urin aus den tausenden Penisen von Männern, die mit nackten Stirnen an kalten Kacheln der tausend Toiletten lehnen die Augen geschlossen ihre Müdigkeit in den Fingern und gerade noch so viel Kraft dass sie ihre Penise halten und das Gelb ablassen dass es sich unten tief tief unten im Gedärm der Stadt mit dem Blau vermengt und darum liebe ich Gelb.
Es war einmal ein König, der über ein großes Königreich herrschte. Er war ein weiser und gerechter Herrscher, und sein Volk liebte und respektierte ihn. Er war immer bestrebt, sein Reich zu verbessern und sein Volk glücklich zu machen. Seine Regentschaft dauerte 10 Jahre, und es waren friedliche Jahre voller Fröhlichkeit und Zuversicht.
Eines Tages erhob sich eine Gruppe von Rebellen gegen ihn und stürzte ihn. Der König war gezwungen sich zu verstecken. Er schwor, eines Tages zurückzukehren und sich das zurückzuholen, was ihm rechtmäßig gehörte. Er fand Unterschlupf im Schloss seiner Lieblingstochter. Sie war eine schöne und stolze Prinzessin, die alles für den Vater getan hätte, Sie stellte sich todesmutig den finsteren Schergen entgegen, die das Schloss brandschatzten. Sie wurde gefoltert und geblendet. Aber sie hatte dem König durch ihr Leiden etwas Zeit verschafft, so konnte er fliehen und die Tochter starb an inneren Verletzungen.
Die Rebellen verfolgten den König bis in den letzten Winkel des Königreichs. So muss er schweren Herzens seine Heimat verlassen. Nachts schwamm er mackt über den Grenzfluss. Mit letzter Kraft erreichte er das Ufer. Hilfsbereite Menschen gaben ihm trockene Kleidung. Reichten ihm Essen und fragten ihn nach seiner Herkunft. Als er ihnen eröffnete, dass er der König sei, da erschlugen sie ihn, aus Angst vor den Rebellen. Sie händigten seinen Leichnam sogar den Rebellen aus und wurden aber doch von ihnen im Fluss ertränkt -denn es könnte ja sein, dass der König seine Geschichte erzählt hätte, und keiner dürfte die Geschichte des Königs kennen.
Aber ein kleines Fischermädchen rannte schnell in den Wald. Es entkam den Schergen, und nach zwei Wochen kehrte das Mädchen zurück zu seinem verbrannten Dorf. Von nun an führte es dort das Leben einer einsamen Fischerin. Das Mädchen wurde alt, und am Totenbett erzählte es die Geschichte ihrem Fischgroßhändler, der die Worte auf kleine Zettel schrieb und in ausgenommene Fischbäuche stopfte. So ein Fisch mitsamt der Botschaft landete auf der Tafel eines Rebellen. Daraufhin würden Fischerdörfer auf beiden Seiten des Grenzflusses niedergebrannt und alle Einwohner getötet. Aber die, die das Massaker von weitem beobachtet hatten, die gründeten eine Kirche und schrieben ein heiliges Buch und wanderten in staubigen Gewändern durch die Täler und rüttelten die Leute durch ihre Predigten auf und wurden allesamt gekreuzigt. Ihre heiligen Bücher wurden verbrannt.
Eines aber hatte ich gefunden, im Nachlass meines Onkels, den irgendjemand mit der Spitzhacke erschlagen hatte. Natürlich schwieg ich, keinem erzählte ich von meinem Fund, und dennoch passierte es, dass man mich meiner Familie beraubt hatte. Und so denke ich: es musste doch einen Sinn haben, dass ausgerechnet ich noch am Leben war!
Darum erzähle ich euch diese Geschichte.
Ihr, die mir zuhört, wundert euch nicht, wenn übermorgen nachts eure Türen eingetreten werden, denn man möchte euch auslöschen und mit euch all jene, denen ihr etwas von der Geschichte erzählen hättet können.
Aber der eine oder andere von euch wird sich im letzten Moment verstecken, wird die Geschichte am Totenbett erzählen, seinen Enkeln vielleicht, und wenn das Schicksal es will, wird eines dieser Enkelkinder überleben, weil es gerade rechtzeitig gelernt hat, mit der Waffe umzugehen, und es wird die Geschichte des Königs weitertragen.
Die Deutschschularbeit begann damit, dass die Frau Professor die Zettel mit den drei Themen austeilte. Das Dritte Thema war wie immer eine Gedichtinterpretation. Das zweite Thema war etwas politisches, da kannte ich mich nicht aus. Und das erste Thema hieß: “Mein schönstes Ferienerlebnis”. Das musste ich also nehmen. Ich schrieb den Titel in das Heft. rund um micht zähe Atmen, das Kratzen von Federn auf Papier, die Schritte der Professorin, und draußen, die geöffnetes Fenstern, der Herbst, das Laub und die Autos. Mein schönstes Sommererlebnis. Also: ich musste an die Sommerferien denken. Die bestanden aus Juli und August. Schade, denn im Juni war ich bei Tante Roberta zu Besuch, und sie hatte diesen herrlichen Rehrücken immer. In Juli war ich nicht auf Besuch bei ihr, im August auch nicht, denn sie war ja in Juli niedergefallen und dann bei der Operation hatte sie sich im Krankenhaus einen Keim eingefangen, darum hatte man ihr das Knie und dann den Oberschenkel abgeschnitten und am Ende war nichts mehr von ihr übrig, so dünn war sie. Als ich sie besucht hatte, hatte sie geschrien wie ein Kind. Darüber konnte ich also nicht schreiben.
Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Zehn Minuten schon vergangen, und die Stunde hatte ohnehin nur fünfzig Minuten in Summe, also noch vierzig Minuten. Ich musste weiterdenken.
Im Juli waren wir am Land draußen. Woran konnte ich mich da erinnern? Der Regenwurm, den ich zerteilt hatte mit der Schaufel, weil meine Großmutter gemeint hatte, dann würde der Regenwurm wie zwei Regenwürmer weiterleben. Was nicht stimmte. Beide Hälften verendeten. So wie bei Tante Roberta, bei der das Bein abstarb und auch der Bauch mit Kopf und Armen.
Ich schaute auf die Uhr über der Tafel. Nur mehr fünfunddreißig Minuten. Ich hob den Arm und die Professorin kam her. “Mir fällt nichts ein”, sagte ich.
“Ach geh, schreib irgendwas, was passiert ist. Es muss nicht lang sein.”
Also schreib ich von dem Hund, den von der alten Frau Kmeiner, der alleine im Dorf herumgestreunt, weil die alte Frau Kmeiner zu alt ist, um ihn Gassi zu führen. Mit einer Wurst habe ich ihn in in den Garten gelockt, dann eine Kiste drüber und Erde drübergeschaufel aber mit einem Loch für die Luft.
So schrieb ich und schrieb ich, meine Füllfeder kratzte über das Papier, Seite um Seite, wie ich meine Eltern dazu gebracht hatte, das Winseln zu überhören, und als einmal Stille war, hatte ich den Hund hatte. Seine Hundeaugen. Sein müder Kopf. Und die Ameisen und der Körper, der sich immer noch bewegt hatte – die Worte kamen nicht von mir, sondern vom Hund und mir gemeinsam, er war mir in diesem Moment beim Schreiben so nahe wie sonst nichts auf der Welt mit allem, was er fühlte und was ich tat – das war eines, und wie beide schrieben und schrieben und dann hörte ich die Frau Professor.
Sie sagte: “Abgeben, Wollinger!” – aber etwas in mir schrieb weiter, die böse Frau inzwischen zerrte das Papier vom Schreibtisch, ich schrie: “Verdammt, wir schreiben noch!” – Und weil sie keine Ruhe gab, hackte ich mit der Füllfeder auf ihre Greifhand ein, so wie ich in den Leib des Hundes gehackt hatte, um sein Leid zu beenden – und das gleiche hätte man mit Tante Roberta auch tun sollen, dann hätte sie nicht so schreien müssen wie die Frau Professor.
Und gerade als wir rund um den Weihnachtsbaum standen, als sich meine Frau an mich schmiegte, als wir unsere Kinder beobachteten, die sie sich über die Geschenke hermachten, als ich also neben ihr stand, meinen Arm auf ihre Schulter legte, da rutschte mir die Hose ein Stückchen hinunter.
Und mir schoss es ein: ich hatte meinen Gürtel vergessen.
Ich umarmte meine Frau weiterhin, versuchte keine abrupte Bewegung zu machen, denn jetzt musste ich nachdenken. Ich brauchte einen Vorwand, um jetzt loszufahren.
Am besten mit Offenheit. Ich sagte meiner Frau: “Mir ist etwas peinliches passiert.”
“Was denn?”
Ich sagte ihr, dass ich ihr Geburtstagsgeschenk an der Tankstelle liegen gelassen hatte.
“Aber wir haben Weihnachten”, sagte sie.
“Ich meine dein Weihnachtsgeschenk, ich bin ganz durcheinander”, sagte ich. “Ich glaube, ich weiß, wo es ist. Ich würde das jetzt holen, damit es nicht jemand anderer mitgehen lässt.”
Einen schnellen Ehekrach später (“Das ist nicht dein Ernst, dass du jetzt wegfährst und mich mit den Kindern hier zurücklässt!”) saß ich im Auto und hatte keine Ahnung, was für ein Weihnachtsgeschenk ich meiner Frau nun mitbringen sollte, aber das war nur ein unbedeutendes Problem jetzt.
Ich fuhr eine halbe Stunde durch die Nacht, kurvte durch Ortschaften, und bei einem bestimmten Haus fuhr ich vorbei. Denn es hätte ja sein können, dass Licht brannte. Es brannte aber keines.
Also parkte ich, aber nicht allzu nahe. Ich ging durch das Dunkle, das Kalte, den Blick erhoben, ob da nicht doch etwas war. Ich zog mir die Golfhandschuhe an. Ich horchte nochmals. Aber es war nichts. Ich betrat den Garten, ich ging um das Haus und im Kellerfenster stieg ich ein, mit dem Licht einer kleinen Taschenlampe. Ich schlich die Treppe empor, öffnete die Tür zum Vorraum – eine kleine Bewegung, wie eine Katze, Atem anhalten, hören, ob da jemand – nein, nichts.
Ich ging weiter ins Schlafzimmer. Ich knipste das Licht an. Licht war gar nicht so schlecht, die Nachbarn durften wohl sehen, dass jemand da war, dass alles in Ordnung war. Denn Anna war ja auch hier. Bäuchlings lag sie auf dem Bett. Um ihren Hals ein Gürtel. Mein Gürtel. Ich zog ihn ab, schnallte ihn mir an die Hose. Wie konnte ich so blöd gewesen sein. Der Gürtel begleitete mich schon jahrelang und hatte weißgott welche Spuren an sich. Da sah ich an Annas Nacken die Halskette. Ja, das wäre eine Idee für ein Weihnachtsgeschenk. Ich nahm Anna die Kette ab.
(Epilog)
Aber das war aber nichts ohne Geschenkpapier.
Ich ging ins Wohnzimmer, und es roch immer noch nach Zimt. Es roch auch nach Urin. Ich nahm das größte Geschenk, schälte es vorsichtig aus dem Papier, damit nichts riss. Es war ein Puppenhaus. Aber mir ging es ja nur um das Papier. Ich packte die Kette ein, und als ich fertig war, da fuhr mir wieder eine Gedanke ein: Ein Puppenhaus war für ein Mädchen, sicherlich. Aber die Kinder dieser Anna, das waren doch zwei Jungs, oder? Oder irrte ich mich? Also zog ich den beiden Leichen die Plastiksäcke von den Köpfen. Eindeutig, das waren zwei Jungs. Mir kam ein Verdacht. Dass es noch ein Kind gab. Ein Mädchen, das hatte sich irgendwo noch versteckte. Oh ja, Kinder konnten so zäh sein!
Ich rief mit verstellte Stimme: “Polizei! Ist hier jemand?”
Dann war mir, als hörte ich etwas, von oben. Ich nahm meinen Gürtel ab und und stieg die Treppe empor in den ersten Stock. Nachher würde ich mich unbedingt duschen müssen, meine Frau hatte ja eine gute Nase.
Als ich endlich daheim war, bedankte sich meine Frau für die Kette, meine Tochter für das Puppenhaus, und mein Sohn, der war ohnehin in seinem Zimmer. Ich umarmte meine Frau und merkte, dass meine Hose ein wenig hinab rutschte. Ich hatte meinen Gürtel vergessen.
(Gelesen von Maria Edelsbrunner bei der Radiosendung „Planquadrat Couch“ ab 00:34)
Draußen der Nebel, und ich sitze seit viereinviertel Stunden auf meiner blauen Couch. Es dämmert. Ich höre mich atmen.
Ich mag diese Couch. Die Lehnen sind schräg. Man kann sich bequem nach hinten lehnen. Vor viereinviertel Stunden habe ich die Handflächen neben meine Oberschenkel gelegt. Dort sind sie immer noch. Wenn ich etwas bewege, dann hauptsächlich die Augen und nur wenig den Kopf.
Das Wohnzimmer ist geräumig.
Links die drei Fenster. Keine Vorhänge, keine Jalousien. Ich habe in der Regel nichts zu verbergen.
Rechts die Wohnküche.
Weiße Kästen, alles sauber. Ich habe in der Regel nichts zu kochen.
Hinter mir eine Wand mit dem gemalten Bild. Wenn ich mich umdrehte, könnte ich es sehen. Aber das tue ich lieber nicht. Vor viereinviertel Stunden ist es noch da gehangen. Wenn es jetzt fort wäre, es würde meine Situation verkomplizieren. Darum denke ich mir, dass es noch da ist.
Über mir eine weiße Decke.
Unter mir, zwischen Boden und Fußsohlenhaut, ein Teppich.
Vor einigen Wochen hat sie mich besucht. Sie hat gelacht. Und dann hat sie gesagt, du wohnst schon so lange da, es sieht aber so unbewohnt aus, wann kaufst du dir Möbel. Da habe ich mir diesem Couchtisch besorgt. Dreifüßig, mit der Glasplatte, die auf drei Saugnäpfen ruht.
Ich höre das Atmen.
Neben mir, auf der Couch, dort, wo ein anderer Mensch Platz finden könnte, liegt mein Telefon.
Es hat geläutet, und ich bin aufgewacht, bin hierher ins Wohnzimmer gewankt und habe mich hergesetzt. Seither blinkt etwas grünliche an meinem Telefon, und ich sitze hier. Die Handflächen neben den Oberschenkeln am weichen, blauen Couchüberzug.
Ich denke mir etwas.
Dann denke ich nichts mehr. Spüre nur den weichen Möbelstoff auf den Handflächen und den Teppich auf den Sohlen. Früher habe ich über vieles nachgedacht. Aber da habe ich noch Pickel gehabt. Die sind dann verschwunden.
Das Atmen wird lauter. Es ist fremdes Atmen.
Ich schaue auf die Saugnäpfe, auf denen die Glasplatte ruht. Wenn ich die Platte hebe, löst sie sich dann vor den drei Tischfüßchen? Ich beginne mich zu bewegen, um das auszuprobieren. Das Glas haftet nicht. Ich lege das Glas auf den Teppich, lecke die drei Saugnäpfe ab. Dann lege ich die Glasplatte wieder darauf, anpressen und warten. Zum Warten setze ich mich wieder auf die Couch. Es ist eigentlich alles so wie vorhin. Bis auf den Speichel zwischen Saugnäpfen und Glasplatte. Mein Telefon blinkt.
Das fremde Atmen will ich nicht mehr ertragen.
Ich stehe auf, mache vier Schritte zur Wohnküche und ich öffne einen Kasten. Da sind die weißen Plastikflaschen eingeordnet, mit je einem Liter Chlorid. Ich achte darauf, dass ich immer zehn habe. Man weiß ja nie, es kann schlimme Nächte geben. Chlorid erspart die Hausapotheke. Denn wenn alles sauber ist, gibt es keine Krankheit.
Ich schraube eine solche Flasche auf. Entleere sie in den Ausguss. Ein Aufschrei. Weißer Schaum dringt heraus, ich weiß, der Abfluss ist seit langem verstopft. Das Schreien verebbt, geht in Stöhnen über. Ich lege die Hand auf die Nirostaabwasch, spüre das Zittern. Wie von einem Fieberkranken mit Schüttelfrost. Drehe den Wasserhahn auf, Entspannung, das Zittern lässt nach.
Ich weiß, was da im Abfluss fest sitzt. Amorphe Masse, fett geworden. Es hat schwarze, glitschige Haut. Ich kenne es aus diesen Träumen, von denen ich nicht erzählen werde. Wenn die Säure seine Haut zerfrisst, gibt es Ruhe. Für eine Weile.
Ich könnte jetzt schlafen gehen.
Draußen der Nebel. Müsste die Sonne nicht schon aufgegangen sein? Stattdessen ein Grauschleier, nur gut, dass die Fenster dicht sind, sonst würde der Nebel eindringen, sich über mein Gesicht legen und mich ersticken.
Ich sollte die Wohnung verlassen.
Vorher gehe ich noch zur Toilette. Aus Gewohnheit. Vergesse, dass ich nicht hinein kann. Denn die Türe ist von innen abgesperrt, noch immer.
Dass ich nicht ins Klo kann, ist kein Problem. Ich benutze eben das Bad. Zwei Tage, nachdem sie sich eingesperrt hat, habe ich den Türspalt zugeklebt. Mit Isolierband. Wegen des Geruchs. Nach einer Woche ist etwas durchgesickert. Unter der Türe. Also habe ich Fensterkitt verwendet.
Seither keinen Damenbesuch mehr in dieser Wohnung.
Ich war gezwungen, meinen Stuhlgang anders zu organisieren. Dafür habe ich mir die Verschweißmaschine angeschafft. Eine praktische Sache für Lebensmittel, die man luftdicht in Gefrierbeutel verschweißen will. Aber ich habe in der Regel keine Lebensmittel. Und auch keine Gefriertruhe. Darum verwende immer zwei Gefrierbeutel, doppelt hält besser, denke ich, wegen des Geruchs. Die Plastikbeutel schlichte ich über den Chloridflaschen ein.
Ich verlasse die Wohnung.
Ich gehe in die Garage.
Starte meinen Wagen, kontrolliere, ob die Klimaanlage auf Umluft eingestellt ist.
Fahre durch die Stadt, parke, steige aus, halte mir ein Taschentuch vor das Gesicht, wegen des dichten Nebels.
Gehe in ein Haus, in den zweiten Stock. Ordination Dr. Müller steht hier. Ich trete ein, die Empfangsdame schaut mich an.
„Was haben Sie?“, fragt sie.
„Müde bin ich“, antworte ich.
Ich gehe weiter durch das Wartezimmer, wo schon vier Frauen sitzen. Ich gehe in das Behandlungszimmer, ziehe mir den weißen Mantel über und lese am Computer die Krankengeschichte der ersten Patientin. Ich bitte sie herein. Ich sage ihr, sie soll sich frei machen, wir machen jetzt einen Abstrich, das kennen Sie ja. Sie setzt sich auf den Stuhl, die Beine gespreizt. Jetzt erzählt sie mir unaufgefordert etwas privates, und dann meint sie wie froh sie sei, dass ich eine Gynäkologin sei und kein Mann, denn Männer könnten nicht so gut zuhören.
Ich werfe einen Blick auf ihre Vulva, ziehe ich mir Gummihandschuhe an und öffne den Schrank, wo ich die Chloridflaschen eingeordnet habe.